Detox für toxische Beziehungen

Viktor Frankl ging davon aus, dass Resilienz darin besteht, einen '.' in ein '&' zu verwandeln, wann immer wir über etwas Schwieriges, Belastendes oder Traumatisches in unserem Leben sprechen. Dass wir den Punkt nicht zu früh setzen. Es ermöglicht uns, die Vergangenheit anzuerkennen, ohne sie die Zukunft bestimmen zu lassen. Das ‘&’ lässt uns nicht vorzeitig stehenbleiben. Wir wenden uns ab von dem, was Schaden verursacht hat und richten den Blick auf das, was dennoch möglich ist.

Dieser Gedanke, einen Punkt in ein "&" zu verwandeln, drückt Frankls tiefe Überzeugung aus, dass ein Mensch niemals vollständig durch seine Umstände, die Vergangenheit oder andere definiert ist. Wir alle sind es bis zu einem gewissen Grad, aber nie vollständig. Daran muss ich oft denken, wenn ich Beiträge über toxische Beziehungen lese. Und ich habe das Gefühl, dass vor allem viele Posts, über die ich in den sozialen Medien stolpere, die Menschen dazu ermutigen, viel zu früh einen Punkt zu setzen, wenn es um das Verständnis und den Umgang mit ungesunden Beziehungen geht. Nach dem Motto: Wenn diese Kästchen abgehakt werden können, ist der andere toxisch, Punkt. Und was dann?

Obwohl ich den Schmerz und das Leid, das durch eine so genannte "toxische Beziehung" verursacht werden kann, zutiefst anerkenne, bin ich dennoch der Meinung, dass es auf lange Sicht nur wenig positive Auswirkungen auf das eigene Wohlbefinden hat, wenn man der anderen Person einfach die Schuld dafür gibt, dass er oder sie ein "toxischer Mensch" ist. Und obwohl dies wahrscheinlich das Letzte ist, was wir in dieser Situation hören wollen, macht es die ganze Sache viel zu einfach. Letztlich fühlen wir uns hilflos und ohne Kontrolle, wenn diese Schuldzuweisung mit einem "." und nicht zu einem "&" beendet wird.

Um das klarzustellen: Wenn ich hier von "toxischen Beziehungen" spreche, dann meine ich eine romantische Beziehung, in der zwei Menschen so aufeinander einwirken, dass die Beziehung von andauernder Enttäuschung und verletzten Gefühlen, von immer wiederkehrender Verzweiflung, Traurigkeit und Überforderung erfüllt ist. Ich spreche nicht von häuslicher Gewalt, Übergriffen oder anderen Formen des Missbrauchs, auch wenn sie oft unter diesen Begriff des ‘toxischen’ fallen.

Das Gift in toxischen Beziehungen

Ich habe in meiner Arbeit im Laufe der Jahre gesehen, dass die Schuldzuweisung an den anderen nie das Ende der Geschichte sein kann, wenn es darum gehen soll, sich wieder besser und glücklicher zu fühlen. Oft ist es ein Schritt auf dem Weg, aber nicht der letzte. Ich habe gesehen, dass die Erkenntnis "Meine Beziehung ist eher toxisch" hilfreicher ist, wenn sie von einem "&" gefolgt wird als von einem Punkt. Das Problem der toxischen Beziehungen ist jedoch, dass sie genau diese positiven Überzeugungen ‘vergiften’, die uns stärken und widerstandsfähig machen:

Die Erfahrungen, die Menschen in toxischen Beziehungen machen, untergraben den Glauben an sich selbst und Dinge zum Besseren verändern zu können. Stattdessen erzeugen sie das Gefühl nicht zu genügen, nicht genügend liebenswert, attraktiv oder wertvoll zu sein, nähren Selbstzweifel, Einsamkeit oder auch unkontrollierbare Wut und Verzweiflung.

Und dann sind da noch so viel Ambivalenz und Gegensätze, die sich eigentlich nicht verbinden lassen: Das Spüren, dass diese Beziehung einen nach unten zieht und auf der anderen Seite das Gefühl von Liebe und Zuneigung für den anderen. Diese widersprüchlichen Gefühle können in einem energieraubenden Zustand von Lähmung und innerer Zerrissenheit münden. Dieser Teufelskreis ist oft das ‘Giftigste’ in toxischen Beziehungen: Sie sind nicht nur im Moment destruktiv, sondern machen es auch so schwer, diesen Zustand in Zukunft zu überwinden. Toxische Beziehungen haben das Talent, positiven Glaubenssätze über uns und Beziehungen verstummen zu lassen. Sie lassen uns einen Punkt setzen, weil die Kraft für ein "&" fehlt. Und dabei braucht es so dringend ein ‘&’, in dem wir das Wissen um den eigenen Wert, die eigenen Fähigkeiten und die möglichen nächsten Schritte formulieren:

... UND ich verdiene etwas Besseres.

... UND ich verdiene eine Beziehung, die auf Vertrauen, Respekt und echter Fürsorge basiert.

... UND ich bin absolut würdig und liebenswert, auch wenn mein jetziger Partner mich nicht so behandelt.

... UND ich kann meinem eigenen Urteilsvermögen und Wahrnehmungen vertrauen.

... UND ich habe alles, was es braucht, um diese Beziehung entweder zu beenden oder klar zu machen, unter welchen Bedingungen ich sie fortsetzen könnte.

... UND es gibt gesündere Beziehungen, die auf mich warten, falls ich gehe.

Kommen Sie zu sich zurück und bauen Sie Ihr "&" auf

Ich möchte eine Übung mit Ihnen teilen, die Ihnen helfen kann, diesen Teufelskreis zu durchbrechen, sich selbst besser zu verstehen und sich tiefer mit den schwierigen Emotionen zu verbinden, die mit der giftigen Beziehungserfahrung verbunden sind. Sie verlagert die Perspektive von Schuldzuweisungen und Verurteilung der anderen Person hin zu einer offeneren Erkundung der Lage. Dadurch verlagert sich der Fokus weg vom Partner/ von der Partnerin hin zu Ihrer ganz eigenen emotionale Erfahrung. Alles, was Sie brauchen, ist ein Stift und ein Blatt Papier.

Stellen Sie sich das folgende Szenario vor:

Sie befinden sich in einem Haus, das überschwemmt ist. Sie gehen nach draußen und stellen fest, dass es draußen in Strömen regnet. Vielleicht ist Ihr erster Impuls, dem Regen die Schuld zu geben, der diese Katastrophe verursacht hat. Schließlich schauen wir auf und stellen fest, dass nicht nur der Regen seinen Teil dazu beigetragen hat, sondern auch ein nicht so sichtbares Leck im Dach unseres Hauses, das den Regen durchlässt und das Haus überflutet.

Atmen Sie tief, lassen Sie das Bild auf sich wirken. Es kann helfen, die Augen für eine Zeit zu schliessen.

Stellen Sie sich dieses Szenario als Analogie zu Ihrer eigenen Situation vor: mit der Katastrophe des überfluteten Hauses als der Beziehung, in der Sie sich gerade befinden, mit dem Regen als den Verhaltensweisen Ihres Partners, die dafür verantwortlich sind und dem Riss im Dach als Ihre persönlichen Anteile, die bei der Verursachung der Überschwemmung auch eine Rolle gespielt haben.

Toxic relationships.png
  1. Stellen Sie sich das überflutete Haus vor. Stellen Sie sich das überflutete Haus als Ihre Situation innerhalb Ihrer Beziehung vor. Nehmen Sie sich Zeit, sich in diesem Gefühl einzurichten. Wie fühlen Sie sich in diesem Moment?

  2. Stellen Sie sich den Regen vor. Stellen Sie sich den Regen als das Verhalten Ihres Partners vor. Notieren Sie zunächst konkrete Verhaltensweisen Ihres Partners, die Sie als toxisch erleben (z.B. Unehrlichkeit, "Gaslighting", etc.). Außerdem: Wann hat das angefangen? Schreiben Sie im nächsten Schritt auf, wie Sie sich durch die Verhaltensweisen fühlen? (z.B. traurig, wütend, ungeliebt, etc.?)

  3. Stellen Sie sich das Leck im Dach vor. Stellen Sie sich das Leck im Dach als Ihre Anteile (im Sinne von Verhaltensmustern, aber auch innere Überzeugungen oder Charakterzüge) vor, welche eine Rolle gespielt hat, die derzeitige Situation entstehen zu lassen (z.B. der Glaube, dass man sich nur genug anstrengen muss, damit die Dinge funktionieren; die Angst, allein zu sein; etc.)

  4. Beenden Sie die Übung mit den folgenden Fragen: Was könnte helfen, das Dach zu stützen? Was braucht es dazu? Formulieren Sie Ihr ‘&’!

Wie Resilienz entsteht

Diese Übung soll Ihnen helfen, ein klareres Verständnis dafür zu bekommen, was Ihre Beziehung tatsächlich toxisch für Sie macht, und auch, mehr in Kontakt mit den zugrunde liegenden Emotionen zu sein, die wir oft zu vermeiden versuchen. Mehr Anerkennung dessen, was tatsächlich in uns vorgeht, tiefere Einsicht und Selbstmitgefühl sind die Grundlage dafür, anders und geschickter mit dem umzugehen, womit wir kämpfen. Wenn wir den Faktoren, die das Geschehen ermöglicht haben, einen Sinn geben können, können wir von nun an anders mit dem umgehen, was geschehen ist. Ich hoffe, die Übung hilft auch Ihnen zu erkennen, was Sie beeinflussen können und was nicht: Denn letztlich können wir auch in einer Paarbeziehung nur uns selbst ändern, nicht unser Gegenüber. Um das Bild des Hauses aus der obigen Übung zu verwenden: Wir können umziehen oder das Dach reparieren. Den Regen können wir nicht kontrollieren.

Diese Übung soll Ihnen helfen, Ihre Beziehungssituation zu untersuchen und bewusster und achtsamer damit umzugehen. Dies soll in keinem Fall dazu führen, sich nicht als unzureichend zu sehen oder zu glauben, man sei selbst schuld an dem was passiert ist. In den meisten Fällen gewinnen toxische Beziehungen ihre Eigendynamik aus einer sehr dysfunktionalen Dynamik zwischen zwei Partnern. Es ist, als ob man zwei Chemikalien mischt, die beide für sich genommen harmlos sind, aber explosiv werden, wenn man sie zusammenbringt. Also wenden Sie sich hier nicht gegen sich und seien Sie nicht übermässig streng gegen sich, neben allem anderen, was ohnehin schon schwierig genug ist.

Persönliches Wachstum durch Widrigkeiten

Ich erlebe oft, dass der Aufbau einer gesunden Paarbeziehung aus einer gesunden Beziehung zu sich selbst resultiert. Auch die Beendigung oder Aufarbeitung ungesunder Paarbeziehungen resultiert aus einer gesunden Beziehung zu sich selbst. Es wird immer wieder darum gehen, unser eigenes Dach zu reparieren und genauer hinzuschauen, was mit uns los ist. Es geht auch darum, zu wissen, was wir von einer Beziehung erwarten dürfen, nach diesem Wissen zu handeln und uns von niemandem etwas anderes einreden zu lassen.

Zu sich selbst zurückzukommen und nicht mehr nur auf den oder die andere zu schauen, hat nichts damit zu tun, die «Schuld» bei sich selbst zu suchen. Wenn wir völlig «ausser uns», also mit unseren Gedanken, Überlegungen und Gefühlen bei dem oder der anderen sind, dann sind wir nur passive Zuschauer in unserem eigenen Leben.

Ich möchte diesen Beitrag mit dem Bild des Lotus beenden, dieser schönen und heiligen Blume, die nur aus Schlamm wachsen kann. Wichtig ist, dass ich mit dem Lotus enden möchte, nicht mit dem Schlamm. Und auch Sie, so hoffe ich, enden nicht mit dem Schlamm, sondern machen ihn zu Ihrem ‘&’. Nutzen Sie das, was Sie durchlitten haben, um eine wirklich gesunde und liebevolle Beziehung zu sich selbst aufzubauen, denn es ist die wichtigste Beziehung, die Sie je in Ihrem Leben haben werden. Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit nach innen, schauen Sie zu sich und halten Sie dabei den Lotus in Gedanken, der aus matschigem Schlamm wächst.

Falls Sie womöglich gerade in einer Beziehung stecken, die sie auslaugt und belastet, oder auch wenn Sie gerade eine Beziehung beendet haben, die sich sehr toxisch angefühlt hat, bin ich hier, um zu helfen, und ich ermutige Sie, sich zu melden und eine Sitzung zu buchen und diese Krise als Wachstumsmöglichkeit zu nutzen.

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Holistische Gesundheit: Was ist das?